Und wieder mal war Buchmesse in Frankfurt

Frankfurt, 14.10.2018. Die Klimaerwärmung macht’s möglich: Wenn im Oktober in Frankfurt Buchmesse ist, kann man sich mittlerweile auf Sonnenschein und Temperaturen über 20 Grad einstellen. Dieser Umstand in Kombination mit dem Zusammentreffen vieler häufig kluger Menschen, die sich Gedanken über unsere Gesellschaft machen, hat mir auch dieses Jahr einen erinnerungswürdigen Tag beschert.

Das Besondere dieses Mal für mich war: Meine Freundin Maike Wetzel hat ihren im August im Schöffling Verlag erschienen Roman „Elly“ am Stand, in vielen Lesungen und Gesprächen auf und neben dem Messegelände vorgestellt. Es ist spannend, das mitzuerleben.

Klare Worte gegen rechts

Im Getümmel der Buchmesse habe ich aber wie im vergangenen Jahr weniger klassischen Lesungen zugehört als Gesprächen von Autoren und Journalisten über Themen, die uns bewegen. Zwei Gespräche waren dabei besonders interessant. Die Autorin und Journalistin Jagoda Marinić, in Deutschland geboren, mit kroatischen Wurzeln versehen, sprach auf Einladung der Frankfurter Rundschau mit der Autorin und Journalistin Manja Präkels, die Mitte der 1970er-Jahre in Brandenburg geboren wurde. Beide beobachten, wie rechtes Gedankengut in Deutschland um sich greift und versuchen, dies zu erklären.
Manja Präkels erlebt bei ihren Lesungen in der west- und ostdeutschen Provinz wenig Erkenntnislust über den jeweils Anderen und über Menschen, die nicht aus Deutschland stammen. Sie macht zudem ein Schweigen zwischen den Generationen aus und sieht in ostdeutschen Schulen Lehrer, die ihren Schülern das Schimpfwort Judenschwein oder den Hitlergruß durchgehen lassen. Ihrem Empfinden nach sind im Vergleich zu den 1990er-Jahren die unterschiedlichen Gruppen innerhalb der Gesellschaft sichtbarer als früher: die Ossis, die Migranten, die Frauen. Vielleicht sei es deshalb lauter und unruhiger, mutmaßt sie. Sie, die als links-alternative Jugendliche kurz nach der Wende von Rechtsextremen durch ihr Heimatdorf in Brandenburg gejagt wurde und auch 25 Jahre später noch immer Feindbild von Neonazis ist, fragt sich, wo es diesen Menschen an Wärme in ihrem Leben fehlt, denn nur so kann sie sich ihr Verhalten erklären.
Jagoda Marinić hat beobachtet, dass sich in Deutschland Bedenken schnell in Hass äußern. Ihr fehlt ein reflektierter, wertschätzender Umgang mit anderen Positionen. Warum sind wir immer gleich so polarisiert, fragt sie und erklärt das Erregungspotential eines Teils der Deutschen mit dem Erschöpfungszustand, den das tägliche Leben hervorruft. Gleichzeitig verweist sie darauf, wie gut es uns als Gesellschaft geht: „Bei uns können Menschen vom Austausch zivilisatorischer Prozesse leben. Wie großartig – eigentlich.“ Das Wort zivilisatorisch führt sie noch in einem anderen Zusammenhang an. Für sie stellt das „Vogelschiss-Zitat“ von Alexander Gauland eine Verletzung zivilisatorischer Werte dar, von der sie sich vor ein paar Jahren nicht hätte vorstellen können, dass sie in Deutschland geschehen kann.

NSU-Protokolle

Das zweite, prägende Gespräch, dem ich folgte, drehte sich leider um den gleichen Themenkomplex. Als der NSU-Prozess begann, entschied der Richter, dass es kein offizielles Protokoll geben werde. Vier Journalisten der Süddeutschen Zeitung protokollierten daraufhin jeden Prozesstag auf eigene Faust (jetzt als fünfbändiger Schuber im Antje Kunstmann-Verlag erschienen): mit dem Notebook auf dem Schoß, wie Annette Ramelsberger, einer der Protokollantinnen, berichtete. Gemeinsam mit ihrem früheren Kollegen Tanjev Schultz, der mittlerweile eine Professur an der Mainzer Uni angenommen hat, berichtete sie auf dem Blauen Sofa über die Erlebnisse im Gerichtssaal. Für die beiden Prozessbeobachter steht außer Frage, dass Beate Zschäpe ein vollwertiges und dominantes Mitglied des NSU war und von den Anschlägen gewusst haben muss. Was Ramelsberger aus dem Umfeld der drei Untergetauchten in Zwickau berichtete, klingt eigentlich unvorstellbar. In dem Wohnhaus, das Zschäpe per Gasexplosion zerstörte, trafen sich die Bewohner gerne auf einen gemeinsamen Prosecco im Kellerraum des Hausmeisters – unter einem Bild von Adolf Hitler. Der Mitangeklagte André E., der nach Abschluss des Prozesses aus der Haft entlassen wurde, hat in englischer Sprache „Stirb Jude stirb“ auf seinen Bauch tätowiert („Die Jew die“). Doch auch was die Journalisten über Polizisten und Verfassungsschützer erzählten, die die Angehörigen der NSU-Opfer bei den Ermittlungen böse und mit zum Teil illegalen Methoden unter Druck setzten, um „gewünschte“ Ermittlungserfolge zur Täterschaft der „Türken-Mafia“ herbeizuführen, macht Angst. Laut Ramelsberger entschuldigte sich im Gerichtssaal kein einziger Polizist für sein Handeln bei den Hinterbliebenen.

Gibt’s auch noch andere Themen?

Um in dieser Notiz nicht ausschließlich über die deutsche Zerrissenheit zwischen pro und contra gesellschaftlicher Diversität zu schreiben, ende ich mit einer Aussage des israelischen Geschichtsprofessors und Erfolgsautoren Yuval Noah Harari, dessen erstes Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ ich gerade mit großem Interesse lese. Dem Stern sagte Harari im September in einem Interview zu seinem neuen Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“: „Der Klimawandel und ein möglicher Atomkrieg sind zwei der großen Probleme, die uns viel mehr beschäftigen sollten. Ob Deutschland noch eine Million Flüchtlinge reinlässt oder seine Grenzen dichtmacht, wird die Welt nicht annähernd so stark verändern wie künstliche Intelligenz oder Bioengineering.“