Der Möglichkeitssinn des Robert Musil

Frankfurt, 24.01.2018. Im vergangenen September erhielt meine hochgeschätzte Freundin Maike Wetzel den Robert Gernhardt Preis. Laudator war Hubert Spiegel von der FAZ, der den österreichischen Schriftsteller Robert Musil bemühte und den von ihm geprägten Begriff des „Möglichkeitssinns“. Der machte mich neugierig, aber im abgedunkelten Saal des Mousonturms und unter der Beschallung eines weiterhin klug sprechenden Feuilletonisten war ich nicht in der Lage, mir zu überlegen, was wohl genau damit gemeint sei. Also notierte ich ihn – und stieß jetzt wieder auf die Notiz.

Als ich ohne weiteres Wissen über die Bedeutung nachdachte, kam ich relativ schnell zu dem Schluss, Musil müsse damit gemeint haben, dass Menschen mit Möglichkeitssinn wahre Beschenkte sind, da sie daran glauben, dass Dinge möglich werden können. Man muss sich nicht in sein Schicksal fügen, sondern hat die Fähigkeit daran zu glauben, dass man sich und anderen Möglichkeiten schaffen kann. Eine hoffnungsfroh stimmende Perspektive, wie ich finde.

Dann aber las ich nach, in welchem Zusammenhang Robert Musil den Möglichkeitssinn in seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ beschreibt. Sein Gedanke lautet: „Wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muss geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müsste geschehen; und wenn man ihm von irgendetwas erklärt, dass es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein.“

Das ist auch eine Art der Begriffsdeutung, zweifellos, und der Zustand, den Musil skizziert, klingt auch eher positiv als negativ. Aber für mich klingt der Mensch mit Möglichkeitssinn nach Musils Verständnis nach einem sprunghaften Charakter: nach einer Person, die sich einfach alles vorstellen kann und die einzelne Möglichkeiten deshalb nicht ernst nimmt. So zumindest lese ich Musil. Deshalb danke ich ihm für den Begriff, halte mich aber lieber an meine Deutung. Es ist befreiend, daran zu glauben, dass man für sich und andere Möglichkeiten schaffen kann.