Und der Rückgang geht weiter…

Bonn, 26.10.2017. Wenn die Worte „besorgniserregend“ und „Tiefstand“ auf der Pressekonferenz der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) in einem Atemzug genannt werden, ist das kein gutes Zeichen. So aber leider heute im Rahmen der Jahrestagung der DTG in Bonn geschehen. Die DTG ist die Vertretung der Transplantationsmediziner und steht in ihrer Arbeit in enger Verbindung zur Stiftung Deutsche Organtransplantation (DSO), zu Eurotransplant, zur Bundesärztekammer und zu Patientenverbänden.

Die schlechten Zahlen, die Prof. Dr. Bernhard Banas, derzeitiger Präsident der DTG und Leiter der Abteilung für Nephrologie am Uniklinikum Regensburg, zu verkünden hatte, lauten:

– 2016 erhielten 2016 3.708 Patienten ein Spenderorgan, davon 647 nach einer Lebendspende. Zum Vergleich: 2015 waren es 3.777 transplantierte Organe, davon 691 Lebendspenden; 2010 sogar 5.084 Transplantationen.

– Ende 2016 standen 10.129 Menschen auf der Warteliste für ein oder mehrere neue Organe.

– Von diesen 10.129 kam mehr als die Hälfte 2016 neu auf die Liste, nämlich 5.551.

– Von der Warteliste entfernt wurden 2016 1.668 Menschen. 939 verstarben, während sie auf ein Organ warteten, 729 wurden gestrichen, zum Großteil, da sich ihr Zustand derart verschlechterte, dass sie eine Transplantation nicht überstehen würden. „Unfit for transplantation“ nennt man das…

Noch mehr Ernüchterung: der internationale Vergleich

Nichts Überraschendes halten auch die internationalen Vergleichszahlen parat, dieses Mal allerdings in etwas anderer Form aufbereitet. Der Europarat befragt alle zwei Jahre die EU-Mitgliedsstaaten. Demnach betrug die Rate an Transplantationen 2016 bezogen auf je 1 Millionen Einwohner in Deutschland 44,4, in Österreich 87,2, in Frankreich 87,8, in den Niederlanden 90,5 und in Spanien – dem internationalen Klassenprimus – 102,3.

Gründe? Erklärungen?

Eine einfache Begründung für diese Zahlen gibt es nicht. Alle Spezialisten, die ich in den vergangenen vier Wochen zu dem Thema gehört habe, sagen, dass es nicht an einer „Anti-Haltung“ in der deutschen Gesellschaft liegt. Zu Spanien erklärte Bernhard Banas, dass es dort pragmatischer zugehe als bei uns. Die Transplantationszentren arbeiteten bei der Identifikation potentieller Spender effektiver, die entsprechenden Daten seien umfangreicher und würden besser geteilt.
Bernhard Banas, der nicht den Eindruck eines Schwarzmalers macht, fragte: „Sind wir uns in Deutschland bewusst, wie schlecht die Lage ist?“ Ohne dass er die Antwort tatsächlich gab ist klar, dass er meint: „Nein“. Daher fordert er eine gesamtgesellschaftliche Diskussion zur Organspende. Wie das geschehen kann, wurde nicht erläutert. Ich habe allerdings auch nicht gefragt. Typische Form von Ich-komme-erst-auf-die-Frage-wenn-es-zu-spät-ist. Aber es gibt nächste Chancen…

Dringlichkeit vs. Prognose

Einen in meinen Augen sehr berechtigten, aber schwierigen Diskussionsanstoß gab Prof. Dr. Christian Strassburg, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I des Universitätsklinikum Bonn. Er fragte, ob man in Deutschland aufgrund des aktuellen Mangels an Spenderorganen zukünftig bei der Vergabe nicht stärker auf die Prognose des Patienten als auf die Dringlichkeit setzen sollte. „Momentan gilt: Die Kränkesten zuerst“, führte er aus. Dieses Vorgehen führe dazu, dass man die Sterberate von der Warteliste weg hin auf nicht allzu lang nach der Transplantation verschiebe. Bekämen zukünftig aber mehr Patienten ein Organ, die noch am Anfang ihrer Erkrankung stünden und mit einer frühzeitigen Transplantation eine deutlich bessere Chance auf eine längere Lebensdauer mit ihrem „Ersatzorgan“ hätten, gäbe es im Umkehrschluss mehr Tote auf der Warteliste.

Das ist ein wahnsinnig komplexes Thema, da es um die Frage geht, was gerecht ist. Die Kategorie Gerechtigkeit ist aber nicht wirklich anwendbar, wenn es gilt zu entscheiden, wer leben darf und wer sterben muss. Unter pragmatischen Gesichtspunkten (ich wollte, ich wäre Spanierin…) müsste man meiner Meinung nach stärker auf die Erfolgsaussichten eines Transplantatierten setzen. Aber ist das eine Argumentation, die man einem Schwerkranken zumuten kann, der seit Jahren auf der Liste steht und dessen Zustand sich aufgrund der langen Wartezeit so verschlechtert hat? Hier spielt die ethische Beurteilung mit hinein, und dann wird es immer besonders schwierig.

Übernächste Woche geht es mit der Jahrestagung der DSO weiter. Da die heute verkündeten Zahlen von der DSO und von Eurotransplant stammen, wird es also auch in Frankfurt keine positiven Schlagzeilen geben.

Und noch ein kleiner Hinweis zu Bonn: Bis Ende Januar zeigt die Bundeskunsthalle in Bonn eine sehr schöne und umfangreiche Ferdinand Hodler-Ausstellung. Ein Besuch lohnt.