Der Reiz der Rückbesinnung – verhält sich Klavierspielen wie Fahrradfahren?

Frankfurt, 30.8.2017. Ich glaube, ich bin in der Midlife Crisis. Bei mir macht sich das jedoch nicht durch das Anbändeln mit deutlich jüngeren Männern oder den Kauf eines Sportwagens bemerkbar, sondern durch – Entschuldigung, wir Frauen sind einfach das weisere Geschlecht – die Rückbesinnung auf Dinge, die mich als Heranwachsende geprägt haben. Heute widme ich mich aus gegebenem Anlass dem Klavierspielen.

Habe ich zwischen 1986 und 1994 den Wert des Klaviererlernens erkannt und geschätzt? Ich denke, die ehrliche Antwort lautet: Ja und Nein. Ich bin zu eigensinnig, als dass ich mir ab einem gewissen Alter hätte vorschreiben lassen, wöchentlich Zeit in etwas zu stecken, was ich nicht mag. Meine Eltern sind zudem zu nachsichtig, als dass sie mich gezwungen hätten, zu üben. Ich habe es also schon aus freien Stücken gemacht. Zudem bin ich wirklich ein Fan des Klavierklangs. Da kann doch keine Violine mithalten!

Gute Noten, aber Dauerstress mit dem Bruder

Hatte es Nutzen, dass ich Klavierspielen lernte? Ich denke, es ist eine legitime Feststellung, dass man die durchaus stattliche Summe, die in meinen Klavierunterricht geflossen ist, durchaus anders und möglicherweise gewinnbringender hätte anlegen können – ohne größere Verluste für mich und meine Umwelt. Die Beziehung zu meinem Bruder wäre sogar ein wenig harmonischer gewesen, bewohnte er doch das Zimmer neben dem Klavierzimmer. Dafür hatte ich in der Schule anständige Noten in Musik, und noch heute weiß ich in Gottesdiensten (woanders singe ich leider nie) zu schätzen, dass ich Noten lesen kann. Und wenn ich, wie gestern Abend geschehen, einem Profi-Pianisten wie Michael Wollny zuhöre, kann ich vielleicht ein wenig eher einschätzen, was er auf seinem Instrument leistet.

Auf der anderen Seite muss ich zugeben: Nachdem ich zuhause ausgezogen war und das Klavier damit verlassen hatte, habe ich geschätzte zwei Stunden (kumuliert!) an ihm gesessen. Und das in mehr als zwanzig Jahren… Vermisst habe ich es also nicht. Aber vor etwa einem Jahr habe ich auf einmal gemerkt, dass ich mir immer mal wieder wünschte, ein Klavier zu besitzen, um mich spontan dransetzen zu können, wenn mir danach wäre.

Vom Wunsch zur Wirklichkeit

Der Wunsch ist Wirklichkeit geworden. Seit ein paar Tagen steht ein Klavier in meiner Wohnung, und es ist so schön, dass ich schon Spaß habe, wenn ich es nur anschaue. Ich muss zwar feststellen, dass auch aller Wiederanfang schwer ist, aber die muskelbepackten Herren, die das schwere Schmuckstück brachten, meinten, mit dem Klavierspielen verhalte es sich wie mit dem Fahrradfahren. Ich werde die Korrektheit dieser These überprüfen.