Der Mensch ist ein merkwürdiges Wesen – und ich bin keine Ausnahme

Frankfurt, 7.9.2017. „Registrierter Lebensspender“. Das ist ein Begriff der DKMS, die bis vor kurzem als Deutsche Knochenmarkspenderdatei firmierte. Ihr Slogan lautet: „Wir besiegen Blutkrebs“. Lebensspender zu sein und dazu beizutragen, Blutkrebs zu besiegen, klingt große klasse, finde ich.

Und es ist ja auch tatsächlich einfach, sein Scherflein beizutragen. Vor ein paar Tagen habe ich auf der Website der DKMS die Unterlagen für meine Aufnahme als potentielle Stammzellenspenderin angefordert. Gestern lag der Umschlag im Briefkasten. Anschreiben, Einverständniserklärung, Faltblatt mit genauen Erklärungen und – besonders wichtig – das Typisierungsmaterial befinden sich darin. Mit den beiden überdimensionierten Wattestäbchen fährt man sich über die Wangenschleimhaut und schickt diese Probe nach Dresden ins „Life Sciene Lab“ der DKMS. Dort werden die Gewebemerkmale ermittelt und anonymisiert in der DKMS und zusätzlich im Zentralen Knochenmarkspender-Register Deutschland gespeichert. Dann findet ein weltweiter Abgleich meiner Daten mit denen an Blutkrebs Erkrankten statt. Falls ein so genannter „genetischer Zwilling“ von mir Blutkrebs haben sollte und keinen Spender aus seinem persönlichen Umfeld hat, bin ich diejenige, die ihn über eine Stammzellenspende wieder gesund machen kann. Kann sein Lebensspender sein. Ein faszinierender Gedanke.

Ich reite auf einem hohen Ross

So weit, so gut. Was aber soll die Überschrift dieser Notiz? Vor ein paar Tagen habe ich über mein persönliches Unverständnis für Mitmenschen geschrieben, die nicht bereit sind, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob sie ihre Organe spenden wollen oder nicht. Ich fühle mich moralisch überlegen, weil ich schon lange eine eindeutige Haltung habe und meine Organe im Falle meines Hirntodes selbstverständlich spenden werde.

Leider musste ich mir in dieser Woche aber eingestehen, dass es Zeit wird, von meinem hohen Ross herunterzukommen. Von Blutkrebs und der Möglichkeit der Stammzellspende weiß ich nämlich mindestens genauso lang wie von Organspende. Und es geht dabei objektiv betrachtet für den Spender um sehr viel weniger. Sollte mein genetischer Zwilling an Blutkrebs erkranken, würde bei mir mit großer Wahrscheinlichkeit eine periphere Stammzellentnahme durchgeführt. Das bedeutet, ich muss nicht stationär ins Krankenhaus, bekomme keine Narkose, werde einfach nur an ein Gerät gehängt, das mein Blut ein paar Stunden filtert. Ich stelle mir vor, dass ich währenddessen lesen kann und es wahrscheinlich Schokolade zum Naschen gibt.

Jede stinknormale Blutabnahme macht mich nervös

Auch wenn das eine vereinfachte Darstellung ist: Es ist eindeutig nicht der größte Akt der Menschenliebe, Stammzellen zu spenden. Und trotzdem muss ich 42 Jahre alt werden, um mich registrieren zu lassen. Das hat einen sehr banalen Grund: Ich bin ein Schisser vor dem Herrn, wenn mir Blut abgenommen wird. Ich mache mir tagelang vorher Gedanken, wie es dieses Mal wohl wird. Ich muss mich dabei hinlegen, weil ich Angst habe, dass mir der Kreislauf wegsackt. Das Gefühl, das ich habe, wenn mein Arm abgeschnürt wird, ist eine Zumutung. Und gleichzeitig finde ich das alles ziemlich peinlich, weil mein Kopf weiß, dass es wirklich schlimmere Dinge gibt im Leben.

Doch ich habe nicht nur einen Kopf, ich habe auch einen Bauch. Und in dem fängt es an zu rumoren, wenn er nur das Wort Blutabnahme hört. Als ich jetzt ehrlich mit mir ins Gericht gegangen bin, warum ich mich nicht längst als Stammzellenspenderin registriert habe, war das die Antwort: Die Vorstellung, an einer solchen Maschine zu hängen, bereitet mir körperliches Unbehagen. Leider ist das eine denkbar schlechte Antwort, eine denkbar egoistische Antwort. Deshalb sind meine Wattestäbchen jetzt auf dem Weg. Und deshalb bin ich jetzt bereit, tatsächlich Spenderin zu werden. Vielleicht sogar Lebensspenderin.